Entwicklung

Sexualentwicklung von 0 bis 6 Jahre

Sexualentwicklung

Bereits in der frühen Kindheit werden Grundlagen für die spätere erwachsene Sexualität gelegt. Babys haben von Geburt an die Fähigkeit, Berührungen und Körperkontakt genuss- und lustvoll wahrzunehmen. Dazu nutzen sie ihre Sinne und die An- und Entspannung ihrer Muskulatur.

Wenn ein Mensch zwischen angenehmen und unangenehmen Berührungen unterscheiden, Grenzen setzen und die Erfahrung machen, dass diese respektiert werden, Körperteile benennen und eigene Gefühle und Bedürfnisse verstehen und benennen kann, wird die Sexualität später anders erlebt, als wenn ein Mensch Ablehnung, Beschämung und Grenzüberschreitungen erlebt hat.

Sexualaufklärung ab Geburt basiert auf einem Gesundheitsförderungs-, Entwicklungs- und Gefahrenabwehransatz. Durch sexuelle Bildung von Anfang an entwickeln Kinder ein gutes Körpergefühl. Sie dient der Entwicklung von Bindungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit und Geschlechtlichkeit. Zudem sind Kinder durch eine altersgerechte Vermittlung von Wissen und Kompetenzen besser in der Lage, Gefährdungssituationen zu erkennen und diese zu kommunizieren.

Quelle: Expertenbericht Sexualaufklärung, Bern 2017, S.58

Entwicklungsphase 1. Lebensjahr: Wickeltisch-Gespräche

Bereits Babys nehmen die Umwelt ganzkörperlich mit allen Sinnen wahr und reagieren darauf. Der Säugling erkundet die Welt über den Mund (orale Phase). Dieses Saugen und Nuckeln an Händen, Brust, Flasche oder Gegenständen löst ein Wohlgefühl aus, ist lustvoll und wirkt regulierend. Die Haut dient als Tast-Fühl-Organ. Über die damit verbundenen Berührungen macht das Kind erste Bindungs- und Beziehungserfahrungen und erhält Informationen über sich selbst – «Ich werde liebevoll gehalten, also bin ich wertvoll». Reize wie Streicheln, Halten, sanft Drücken, Küssen sind bedeutsam für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung. Als erwachsene Person ist es wichtig darauf zu achten, dass Körperkontakte, Berührungen und Handlungen nicht der eigenen sexuellen Erregung dienen. Dies ist verboten und muss unterlassen werden. Beim Wickeln kann unter Anderem beobachtet werden, dass sich der kindliche Penis spontan aufrichtet. Die Klitoris kann ebenso anschwellen. Nur liegt diese aufgrund ihrer Lage (bis auf die Klitoriseichel) grösstenteils verborgen. Der Erregungsreflex (das Einströmen des Blutes in die genitalen Schwellkörper) wird bereits im Mutterleib nachgewiesen und wird anfangs unwillkürlich ausgelöst. Ab dem 4. bis 5. Monat sind die motorischen Fähigkeiten der Kinder meist soweit entwickelt, dass die Anschwellung der Genitalien durch gezielte An- und Entspannung der Muskulatur ausgelöst werden kann.

Anregungen für die Sexualerziehung

  • Begleiten Sie das Wickeln mit Worten– auch Penis, Hoden, Vulva, Anus benennen (je älter die Kinder werden, um so genauer dann auch die Bezeichnungen).
  • Geben Sie dem Kind regelmässig Zeit, windelfrei zu sein und den ganzen Körper zu erfahren und ertasten.
  • Benennen und respektieren Sie Körpersignale und Bedürfnisse: «Du drehst dich weg. Hast du genug? Magst du das nicht?»
  • Seien Sie achtsam im Umgang mit stereotypischen Aussagen: «Er pinkelt schon, wie ein richtiger Mann» ist unangebracht.

Entwicklungsphase 2. Lebensjahr: Neugierde

Die meisten Kinder nehmen ihre Genitalien immer bewusster wahr und untersuchen diese interessiert. Auf die gleiche Weise wie der Bauchnabel spannend ist, ist auch die Beschäftigung mit den Genitalien faszinierend. Kinder kennen die sozialen Regeln noch nicht und handeln im Hier und Jetzt. Sie berühren sich, wenn es sich gerade ergibt und sie eine körperliche Regung wahrnehmen. Es ist die Aufgabe der Erwachsenen, stetig zu vermitteln, wo Selbsterkundungen erlaubt sind und wo nicht. Die Analregion (anale Phase) wird zu einer wichtigen Lustquelle. Die volle Blase wahrzunehmen oder die Wärme des Stuhlgangs in der Windel können als lustvoll erlebt werden, weshalb ein Kind vielleicht nicht unmittelbar die Windel wechseln möchte. Toilettengänge der Mitmenschen wecken die kindliche Aufmerksamkeit, um herauszufinden wo was rauskommt und ob das bei anderen gleich funktioniert. Dabei können die elterlichen Intimregionen zum Ziel intensiver Entdeckungsfreude werden. Hier ist es wichtig, den Kindern unaufgeregt und klar Grenzen zu setzen: «Halt, ich will nicht, dass du meine Vulva, Brust, Penis berührst.»

Kinder entwickeln durch das Beobachten ihrer Umwelt, durch Nachahmen und die Erkenntnisse der körperlichen Unterschiede und Vielfalt zunehmend ihre Geschlechtszugehörigkeit. Erste Anzeichen des entwicklungsrelevanten Eigenwillens (Trotzen) machen sich bemerkbar, indem das Kind durch intensivere Verweigerung und Ablehnung mitteilt, was angenehm ist und was nicht.

Anregungen für die Sexualerziehung

  • Unterstützen Sie das Kind, sich an der Körperpflege aktiv zu beteiligen.
  • Finden Sie Worte für angenehme und unangenehme Berührungen.
  • Benennen und begleiten Sie Gefühle und schaffen Sie einen sicheren Raum, diese zu zeigen.
  • Sprechen Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin darüber, wie in Ihrer Kindheit mit dem Thema Sinnlichkeit, Nacktheit, Sexualität umgegangen wurde und finden Sie gemeinsame Wege für den Umgang in Ihrer Familie.

Entwicklungsphase 3. Lebensjahr: Erkunden und Rollenspiele

Die Kinder kommen in die Phase der «Schau- und Zeigelust». Es kann vorkommen, dass sie kichernd ihren Po oder die Genitalien entgegenstrecken, sich mitten auf dem Spielplatz Kleidungsstücke abstreifen, sprachliche Begriffe aus dem Genital- und Fäkalbereich nutzen und beobachten, wie das Gegenüber reagiert. Diese Situationen erzeugen eine Spannung und sind dadurch reiz- und lustvoll. Kinder stellen in diesem Alter erste Warum-Fragen. Dies gilt auch in den Bereichen Körperformen, Geschlecht, Zärtlichkeiten, Liebe, Schwangerschaft, Geburt etc. Sie wollen Zusammenhänge verstehen und zeigen in Form von Rollenspielen «Probehandeln». Sie tun so, als ob sie XY wären und experimentieren dabei auch mit Geschlechterrollen. Erzählen Sie Ihrem Kind, dass sich Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht lieben können und leben Sie einen toleranten Umgang vor. Es entstehen Stolz, Bewusstsein, Gefühle und Kontrolle für die Körpersignale im Beckenboden, rund um die Blase und den Darm. Das Kind erlebt seine Selbstwirksamkeit: «Wenn ich mich anstrenge, kommt etwas aus mir heraus – ich kann etwas produzieren.» Dieser Entwicklungsschritt ist wiederum identitätsstiftend. Die Erfahrung mit dem Eigenwillen übertragen Kinder – oft trotzig – auf andere Situationen. Das Nein-Sagen-Dürfen ist eine wichtige Voraussetzung zur Vorbeugung von sexuellem Missbrauch. Das Kind lernt, dass die eigenen Gefühle wichtig sind und Grenzen respektiert werden. Gezielte genitale Selbststimulation (Masturbation) und gegenseitige Körpererkundungsspiele (Doktorspiele) beginnen und setzen sich in den kommenden Jahren fort.

Anregungen für die Sexualerziehung

  • Hängen Sie im Kinderzimmer einen Spiegel auf, damit sich das Kind ungestört von Kopf bis Fuss betrachten kann und stellen Sie Kleider für vielfältige «Rollenspiele» zur Verfügung.
  • Gewähren Sie dem Kind tagsüber windelfreie Zeit und reagieren Sie entspannt, wenn Kot oder Urin daneben geht.
  • Beantworten Sie Fragen in kleinen Häppchen wahrheitsgetreu.
  • Als Erwachsene sind Sie verantwortlich für den Experimentier- und Schutzraum. Sprechen Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin darüber, was Sie okay finden und was nicht.

Entwicklungsphase 4. Lebensjahr: Erste Freundschaften schliessen

In der frühen genitalen Phase steigt das Bedürfnis des Kindes nach Freundschaften und sozialen Kontakten. Das Kind sagt vielleicht, dass es in eine nahe Betreuungsperson «verliebt ist» und bringt dadurch sprachlich die Gefühle des Wohlbefindens und der Zuneigung zum Ausdruck. In Kindergruppen gibt es Gefühle der Zuneigung, Eifersucht, Enttäuschung, Ablehnung und es entstehen manchmal Zuteilungen in «wir» und «die». Durch das Markieren von geschlechtergetrennten Gruppen üben sich die Kinder in der Selbstbehauptung, im Setzen von Grenzen und Mitteilen von Gefühlen und im Verbünden. Gleichaltrige Freundschaften können auch Kuscheln, Intimität und gegenseitige Körpererkundungsspiele beinhalten. Im Spiel werden auch gesellschaftliche Rollenerwartungen weiter erprobt und gespiegelt. Genauso wie Kinder die Rolle des Familienhundes besetzen wollen, möchte der Junge die Mutter im Kleid spielen oder das kleine Pinselchen mit dem Nagellack-Fläschchen benutzen. Das Kind lernt weitere soziale Regeln kennen und kann diese durch Übung und Wiederholung zunehmend respektieren und verinnerlichen.

Trans*Kinder (wenn das innere Wissen einer Person, welches Geschlecht sie hat (Geschlechtsidentität) nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt) können Unstimmigkeiten bereits in diesem Alter fühlen und zum Ausdruck bringen. Wenden Sie sich diesbezüglich bei Fragen an eine Fachperson:

Anregungen für die Sexualerziehung

  • Bieten Sie Spielzeuge und Aktivitäten unabhängig vom Geschlecht an.
  • Bewerten oder belächeln Sie Rollenspiele nicht.
  • Begleiten Sie Ihr Kind in den Gefühlen rund um Freundschaft und helfen Sie ihm, Freundschaften zu pflegen.
  • Unterstützen Sie das Kind bei der Entwicklung in Strategien für die Selbstregulation: «Was hilft mir, wenn ich Wut fühle, wenn ich traurig bin oder wenn ich aufgeregt bin…?»

Entwicklungsphase 5. Lebensjahr: Körperspiele und Regeln lernen

Dies ist das klassische Alter der Körpererkundungsspiele bzw. «Doktorspiele». Kinder suchen dazu einen Rückzugsort und wollen ungestört sein. Es ist nun wichtig, dass wie bei anderen Spielen auch, Regeln ausgesprochen werden und die Kinder wissen, dass ein «Nein» nicht übergangen werden darf. Sie müssen wissen, dass diese Spiele nur unter Gleichaltrigen stattfinden, freiwillig sind, nichts in Körperöffnungen eingeführt wird, die Aktivität jederzeit verlassen werden darf und Hilfe holen immer richtig ist. Kinder lernen, wie die Geschlechtsorgane aussehen, welche Körperstellen besonders empfindlich. Ausserdem lernen Sie, mitzuteilen, welche Berührungen angenehm oder unangenehm sind. Einvernehmliche «Mutter-Vater-Kind-Spiele» werden von Kindern meist als lustvoll erlebt. Schimpfen und Bestrafen sind nicht hilfreich für die gesunde Sexualentwicklung. Hat man als Eltern ein ungutes Gefühl, ist es wichtig, darauf zu hören, Grenzen zu setzen, Handlungen zu unterbinden und sich allenfalls bei einer Fachperson beraten zu lassen. Kinder entwickeln allmählich die natürliche Scham und wollen vielleicht allein ins Bad, sich im Freibad nicht mehr mitten im Getümmel umziehen etc. Dieses Abgrenzungsverhalten und der Sinn für die Privatsphäre sollen von Erwachsenen unterstützt werden. Kinder verstehen die sozialen Regeln immer besser und wissen: «Das macht man nicht in der Öffentlichkeit». Nun taucht vielleicht auch die Frage auf, woher die Babys kommen und wie sie denn in den Bauch gelangen. Eine mögliche Antwort wäre: «Ein Kind kann entstehen, wenn sich 2 Zellen treffen. Eine Eizelle und eine Samenzelle. Die Eizelle befindet sich im Körper der Frau, die Samenzelle im Körper des Mannes. Lädt die Vagina den Penis ein, kann die Samenzelle zur Eizelle schwimmen. Im Bauch (Gebärmutter) der Frau kann das Baby dann wachsen.» Mit Hilfe von Kinderbüchern können auch weitere Befruchtungsmöglichkeiten erklärt werden.

Anregungen für die Sexualerziehung

  • Machen Sie Ihrem Kind altersgerechte Bücher zu vielfältigen Familienformen, Gefühlen, Körperlexikon, Grenzen, Geheimnissen etc. zugänglich und sichtbar.
  • Selbstberührungen und Erkundungen sind ok, wenn sie im Zimmer bzw. an einem «geschützten Ort» stattfinden.
  • Thematisieren Sie gute (mit Enddatum) und schlechte (offenes Ende, mit Bedingungen) Geheimnisse.
  • Sprechen Sie mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner darüber, welche Abmachungen rund ums Nacktsein gelten und wie die Haltung und Gefühle in Bezug auf Körpererkundungsspiele sind.

Entwicklungsphase 6. Lebensjahr: Heimliches Interesse und sprachliche Provokationen

Die Kinder wenden sich vermehrt gleichgeschlechtlichen Kindern zu. Sie stärken so ihre eigene Geschlechtsidentität und versichern sich, «richtige» Mädchen oder Jungen zu sein. Sie orientieren sich an gesellschaftlichen Normen und versuchen herauszufinden, was in ihrer Kultur als «geschlechtskonform» angesehen wird. Es ist wichtig, den Kindern im Alltagsgeschehen aufzuzeigen, dass die Welt bunt und vielfältig ist und jeder Mensch sich so zeigen darf, wie er sich fühlt. Junge- und Mannsein, Mädchen- und Frausein sowie Menschsein ist divers und kann sich auch verändern. Kindliches Sexual- und Erkundungsverhalten findet ab diesem Alter weniger offensichtlich statt. Das Interesse und Lustempfinden rund um den Körper und die Sinne sind immer noch vorhanden. Vieles findet jedoch aufgrund des entwickelten Schamgefühls heimlicher statt. Die sexualisierte Sprache und damit verbundenen Gesten werden jedoch immer noch als spannungsvoll erlebt. Kinder lernen durch Begleitung, welche Worte beleidigend, verletzend oder diskriminierend sind, was okay ist und was nicht. Das Interesse an Informationen aus Büchern, TV und anderen Medien steigt und somit auch die Aufgabe der Erwachsenen, sich um die Medienkompetenz zu kümmern. Häufig verstehen Kinder nicht konkret, was sie über Sexualität hören und sehen. Sie kriegen aber ein Gefühl dafür, dass es einen besonderen Stellenwert hat. Küssen sich Menschen im TV, wird dies vielleicht mit einem «iiiih, wääähh» kommentiert. Verbalisieren Sie auch hier die Gefühle: «Ist dir die Szene unangenehm? Wenn Menschen zustimmen, ist es okay, sich zu küssen. Du kannst aber auch wegsehen, wenn sich das gerade peinlich anfühlt.»

Anregungen für die Sexualerziehung

  • Führen Sie Gespräche über «schmutzige» Wörter, Kraftausdrücke, die okay sind und die sexualisierte Sprache.
  • Sprechen Sie über Rollen-Klischees und korrigieren Sie diese auch hin und wieder.
  • Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber, was es tun kann, wenn es in den Medien Inhalte sieht, die komische Gefühle auslösen. Stehen Sie Für Fragen und Ängste zur Verfügung.
Quelle und weitere Infos unter: www.littlefellow.ch

Weitere Informationen finden Sie auch auf der Webseite Sexualerziehung – Rolle der Eltern

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